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Big Pharma plündert mit Therapien für seltene Krankheiten die Krankenkassen

Leiden Sie an Diabetes, Arthrose, Bluthochdruck oder einer anderen weit verbreiteten chronischen Erkrankung? Dann machen Sie sich auf harte Zeiten gefasst! Für solche Allerweltskrankheiten haben unsere Krankenversicherer bald kein Geld mehr. Zu banal! Das Budget brauchen wir in Zukunft zur Finanzierung von millionenteuren Medikamenten für seltene Krankheiten. Das ist für die Pharmaindustrie lukrativer  und vor allem: In diesem Bereich wagt es kaum jemand, sich kritisch zu äussern. Darum konzentrieren sich die Pharmamultis zunehmend auf diesen Bereich. Sollen die staatlich auf Tiefstpreise gedrückten Medikamente für Otto Normalverbraucher herstellen, wer will.

Neuestes Beispiel: Novartis kauft für 8,7 Milliarden US-Dollar die Firma AveXis. Damit gehört Novartis unter anderem ein Medikament zur Behandlung von spinaler Muskleatrophie (SMA), einer genetischen Krankheit. Die Kosten für die Behandlung liegen im Bereich 800‘000 US-Dollar. Machen wir die Rechnung zu diesem milliardenschweren Business:

Gemäss Schätzungen gibt es derzeit weltweit 375‘000 Patienten, die an SMA leiden. Jedes Jahr kommen rund 23‘500 Neugeborene mit diesem Gendefekt dazu. Und diese Zahl wird sich halten, denn man rechnet damit, dass etwa 150 Millionen Menschen Überträger des Gens sind. Würde man allein die Neugeborenen alle behandeln, ergibt das einen Umsatz von 18,8 Milliarden Dollar. 300 Milliarden Dollar sind es, wenn man das gesamte Potential an Patienten betrachtet.

In der Schweiz sind schätzungsweise 500 Patienten von SMA betroffen. Novartis schafft sich also allein mit diesem Medikament das Potential von 400 Millionen Franken zu Lasten unserer sozialen Krankenversicherung. Und das ist nur eines von zahlreichen anderen ähnlich teuren Medikamenten für seltene Krankheiten. CAR-T zur gentherapeutischen Therapie von Leukämie bei Kindern kostet 475‘000 Dollar pro Behandlung, die Behandlung einer genetisch bedingten Blindheit kostet 850‘000 Dollar etc.

Die Liste lässt sich um weitere exorbitant teure Medikamente verlängern, und die Pharmaindustrie wird alles daran setzen, diese Liste zu ergänzen. Schon heute verursachen 0,7% der Packungen, die zu Lasten der Krankenversicherungen abgerechnet werden, 25% der Kosten! Tendenz massiv steigend. Man muss kein Rechengenie sein, um zu sehen, dass die Pharmaindustrie unsere Sozialversicherungen in Kürze aushöhlen wird.

Und was machen Bundesrat, Santésuisse, Preisüberwacher und weitere so genannte «Experten»? Sie suchen das Heil im Festbetrag für Generika! Damit zerstören sie die Versorgungssicherheit in unserem Land:

·         63% der zu Lasten der OKP verkauften Medikamentenpackungen haben schon heute einen Ex-factory-Preis von weniger als 15 Franken. Werden in diesem Bereich die Preise weiter gedrückt, wird die Produktion zuerst auf einen oder zwei Standorte in Billiglohnländer verlegt und – wenn selbst dann keine Rendite mehr erzielt werden kann – dann verschwinden bewährte Präparate vom Markt, weil es sich schlicht nicht mehr lohnt, sie herzustellen.

·         Der Festpreis wird diese Entwicklung massiv beschleunigen, denn der Billigstanbieter erhält quasi das Monopol für einen Wirkstoff. Das akzentuiert die Konzentration auf eine minimale Anzahl Produktionsstätten. Kleinere Pharmafirmen können bei diesem staatlich verordneten Preisdumping nicht mithalten. Sie stellen die Produktion ein. Übrig bleiben die Grossen. Die warten, bis die Konkurrenz aus dem Weg geschafft ist, und dann bestimmen sie die Preise. Dass sie diesbezüglich keinerlei Hemmungen zeigen, demonstrieren sie mit ihrer Preispolitik bei Medikamenten für seltene Krankheiten.

·         Der Zwang stets das billigste Medikament schlucken zu müssen, bedeutet für Patienten, immer wieder das Produkt wechseln zu müssen. Für die Medikamentensicherheit sind solche Wechsel ein Desaster. Die Therapietreue sinkt, die Gefahr von Verwechslungen und Doppelmedikation steigt.

·         Gerade beim Wechsel von Medikamenten wäre die Beratung des Patienten durch eine Vertrauensperson wie den Apotheker wichtig. Doch die Schleuderpreispolitik degradiert Medikamente zur Wegwerfware. Bereits die Logistik solcher Billigstprodukte wird für den Apotheker zum Verlustgeschäft. Von ihm dann auch noch zu verlangen, dass er bei deren Verkauf aufwendige Beratungsgespräche führt, zeugt von der zynischen Gleichgültigkeit, die gut bezahlte Bundesbeamte und Kassenfunktionäre leider immer wieder an den Tag legen.

Sicher, Menschen mit einer seltenen Krankheit haben oft ein schweres Los, und es ist lobenswert, dass unsere Pharmaindustrie die Möglichkeit bietet, mit neuen Gentherapien solche Krankheiten zu heilen. Es darf aber nicht sein, dass die Pharmaindustrie die sozialen Krankenversicherungen durch exorbitant hohe Preise für solche Spezialbehandlungen derart ausgehöhlt, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr mit ihren bewährten Medikamenten gegen Diabetes, Hypertonie, Arthrose und weitere weit verbreitete Krankheiten behandelt werden kann, weil für sie das Tiefstpreisdiktat gilt. Solidarität ja, aber sie hat eine Schmerzgrenze.

10. April 2018

Foto © studiostoks Fotolia.com

 

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