Was haben Schulmediziner gelächelt, wenn Apotheker ihren Kunden nach einem Durchfall oder einer Antibiotikabehandlung ein Aufbauprodukt für die Darmflora verkauften. Was sollen denn die paar Bakterien schon ausrichten, hiess es, aber klar, die Apotheker wollen mal wieder Kasse machen. Heute klingt es etwas anders. Die Wissenschaft beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Darmbakterien. Erst kürzlich traten Forscher mit der Vermutung an die Öffentlichkeit, eine bestimmte Konstellation der Darmflora könnte für Übergewicht verantwortlich sein. Ob sich dies bewahrheitet, wird sich zeigen. Fest steht, dass die Darmflora und das «Darmhirn» zu ernstzunehmenden Forschungsobjekten geworden sind, denn, so weiss man eigentlich schon seit hundert Jahren, der Darm funktioniert weitgehend autonom, ohne das Gehirn. Dieses wäre total überfordert, müsste es für die unzähligen Vorgänge im Darm als Schaltstelle dienen. Ganz abgesehen davon, dass der Hals die vielen Nervenstränge hin und zurück nicht fassen könnte. Allerdings blieb diese bemerkenswerte Erkenntnis bis vor weniger Jahren mehr oder weniger unbeachtet.
Die wissenschaftliche Bezeichnung für die Darmflora lautet Darmmikrobiom. Es zeigt sich, dass die Darmbakterien nicht nur fleissige Helfer bei der Verdauung sind. In der Darmwand sitzen siebzig Prozent der Abwehrzellen. Ist die Zusammensetzung der Darmbakterien gestört, kann dies Entzündungsprozesse auslösen, die das Immunsystem aktivieren und über Immunbotenstoffe bestimmte Gehirnfunktionen beeinflussen. Aus Experimenten ist bekannt, dass bakterielle Giftstoffe nicht nur die typischen Symptome einer akuten Infektionserkrankung, sondern auch depressive Störungen auslösen können. Ausserdem wird vermutet, dass Stress die Darmpermeabilität erhöht. Dadurch können Bakterien in den Organismus eindringen und wie beschrieben eine Immunreaktion mit den genannten Auswirkungen auf die Gemütslage auslösen.
Noch resultieren aus den Forschungen keine konkreten Behandlungsmöglichkeiten bzw. sind gescheitert. Aber der Ansatz ist gegeben. Menschen, die unter einem Reizdarm oder einem Reizmagen leiden, sind sehr oft auch von depressiven Verstimmungen, Angststörungen und emotionalen Schwankungen betroffen sind. Umgekehrt kennen viele Menschen mit psychischen Erkrankungen Verdauungsprobleme wie Verstopfung, Durchfall, Übelkeit und Schmerzen. Woher kommt dieser Zusammenhang? Und warum findet man bei Reizdarm und Reizmagen keine organischen Ursachen, obwohl die typischen Symptome Durchfall und Verstopfung zweifelsfrei vorhanden sind? Die Antwort liegt in der Darmflora.
http://www.gehirnforschung.at/
18. Oktober 2013