Novartis muss sparen. Ja wirklich. Die mussten ihrem kürzlich abgetretenen Chef das Sparschwein mit so vielen Millionen füllen, dass es jetzt auf jeden Franken ankommt. Also haben die ihren Kaderleuten einen Taschenrechner in die Hand gedrückt und ihnen zwei Stunden Zeit gegeben, um Posten und Pöstchen zusammenzuzählen, die man wegsparen könnte. Einer kam zurück mit einer Liste von dreissig Zeilen: M-Budget-Rollen statt Hakle-Superflausch, Melitta statt Nespresso, Aldi-Schoggi statt Sprüngli-Truffes (ausser in den Chefetagen natürlich) und ähnliches stand da drauf. Aber den Blumentopf beim Sparwettbewerb (jaja, es gab einen Wettbewerb mit Bonus, sonst bewegt sich ja keiner) gewann ein anderer. «Wir sparen bei den Arzneimitteldaten!», verkündete der stolz. «Wer Daten über unsere Produkte will, kann bei uns ja nachfragen.» Allgemeines Gemurmel, dann gegenseitiges Schulterklopfen. Superidee, machen wir so.
Okay, wirklich dabei war die Redaktion von 3-min.info nicht bei der Spardiskussion von Novartis. Vielleicht trinken die ja auch weiterhin fröhlich Nespresso-Kaffee, und auf Hakle-Superflausch verzichten sie in den Teppichetagen wahrscheinlich auch nicht. Tatsache ist aber, dass Novartis nicht mehr bereit ist, für die Aufarbeitung und Verteilung ihrer Arzneimitteldaten an Documed etwas zu zahlen. In der letzten gedruckten Ausgabe des Kompendiums hat sie schon nicht mehr mitgemacht, und einige andere Pharmafirmen auch nicht.
Zur Information für Leser ausserhalb der Pharmabranche: Documed sammelt seit 1977 die Daten aller in der Schweiz registrierten Arzneimittel, vereinheitlicht sie und veröffentlicht alljährlich das Arzneimittelkompendium, ein Nachschlagewerk, das in jeder Arztpraxis, in jeder Apotheke, in jedem Spital und auch sonst in jeder Institution, die in irgendeiner Weise mit Medikamenten zu tun hat, zur unverzichtbaren Standardliteratur wurde. Seit 1987 gibt es die Fachinformationen auch elektronisch. Die Schwesterfirma e-mediat bindet sie in ihren Datenstamm ein, strukturiert sie zum Beispiel für Warnungen zu Maximaldosierungen oder Allergien und verknüpft sie mit nicht-medizinischen Daten, wie Preis, Packungsgrössen, SL-Zugehörigkeit und Krankenkassencode. Heute ist es dank diesem stetig aktualisierten, vereinheitlichten und von Softwarehäusern bereitgestellten Datenstamm möglich, an der Kasse in der Apotheke in Sekundenschnelle nicht nur die Fachinformation abzurufen, sondern auch Interaktionenchecks durchzuführen, die Kassenzulässigkeit zu prüfen und Alternativprodukte zu suchen.
Documed und e-mediat sind private Firmen. Nach ihren Aussagen werden ihre Dienstleistungen insgesamt je zur Hälfte von den Pharmafirmen und den Leistungserbringern finanziert. Man kann sich daran stören, dass sie damit eine zentrale Funktion einnehmen. Bezüglich Medikamentensicherheit und Praktikabilität hat jedoch eine einzige zuverlässige und allgemeingültige Datenquelle grosse Vorteile. Bevor Documed mit Unterstützung der Pharmabranche als private Initiative entstand, mussten Ärzte, Apotheker und Pflegepersonal wichtige Informationen mühsam aus den einzelnen Firmenkatalogen zusammenklauben. Man stelle sich dies vor in einer Notfallstation, wo es um Sekunden geht und ein Medikationsfehler unter Umständen über Leben und Tod entscheiden kann!
Und nun hat Novartis also bei Documed gekündigt. Das kann sie grundsätzlich, weil Swissmedic seit Januar 2013 eine Plattform, AIPS bzw. swissmedicinfo genannt, zur Verfügung stellt, auf der die Firmen ihre Fachinformationen publizieren müssen.
Wunderbar, denkt sich der vertrauensvolle Staatsbürger. Wenn das jetzt die Zulassungsbehörde macht, ist ja alles paletti. Die Sache hat jedoch zwei gravierende Haken: Die Daten bei AIPS sind quasi nackt. Es gibt keine Verknüpfung mit kommerziellen Daten, wie Mehrwertsteuer, Preise, Krankenkassencode und ähnlichem. Ausserdem ist die Datensammlung nicht wirklich einheitlich. Die Verantwortung fürs Hochladen liegt bei den einzelnen Firmen. So lädt jede Firma ihre Packungsprospekte hoch, so gut sie es eben kann. Oft sogar mit durchaus schön aussehenden Tabellen. Nur nützt das nicht viel, wenn sie dann doch nicht geeignet sind für das Kassensystem in der Apotheke.
Swissmedic hält sich explizit aus der Sache raus. Es erfolgt keine separate Kontrolle durch die Kontrollbehörde.
Wenn Novartis und andere Firmen (Liste siehe unten, oder man achte bei der Artikelbezeichnung auf die Kennzeichnung [QAP?] – Quality Approuved mit Fragezeichen) nun also bei Documed ausscheiden und nur noch den billigen Weg über AIPS nehmen, sparen sie zwar Geld. Möglicherweise geht der Schuss aber nach hinten los. Wenn die Leistungserbringer, wie Ärzte, Spitäler, Apotheker, Pflegepersonen in Altersheimen und Spitex, in Zukunft bei den Produkten dieser Firmen wichtige Arzneimittelinformationen wieder wie vor dreissig Jahren, als Computersysteme in Apotheken noch die Ausnahme bildeten und in Arztpraxen praktisch inexistent waren, aus unterschiedlichen Büchern und Datenbanken zusammenklauben müssen. Das werden sich hoffentlich die Leistungserbringer nicht so einfach gefallen lassen. Zudem sind es nicht gerade beruhigende Aussichten für die Patienten, wenn sie mit lebensbedrohlichen Symptomen auf der Notfallstation liegen, auf zuverlässige Interaktionenchecks vertrauen und die komplikationslose Abrechnung über die Krankenkassen erwarten, und warten müssen.
Die Medikamentensicherheit in Apotheken, Arztpraxen und Spitälern sollte eigentlich auch bei Novartis und Co. wichtiger sein als ein eingesparter Betrag, der zum Beispiel Daniel Vasellas Gehalt vielleicht gerade mal für eine Woche abdeckte!
http://www.swissmedic.ch/aktuell/00003/01840/index.html?lang=de
24. Mai 2013