Orphan Drugs, eine hehre Kategorie von Medikamenten. Wer wagt es schon, genauer hinzuschauen bei Medikamenten, die bei seltenen Krankheiten eingesetzt werden. Schliesslich geht es um einige wenige Patienten, denen das Schicksal einen Morbus Pompe, einen Morbus Fabry, eine seltene Krebserkrankung oder eine andere seltene unheilbare Krankheit aufgebürdet hat. Und es sind wirklich wenige. In der EU gilt als seltene Krankheit, wenn nicht mehr als 5 Patienten pro 10‘000 Einwohner betroffen sind. In den USA ist man etwas grosszügiger in der Auslegung, da sind es 7.5 Patienten pro 10‘000 Einwohner. In Japan dagegen sind es nur 4, in Australien sogar nur 1 Patient pro 10‘000 Einwohner. Man könnte also grosszügig über diesen Bereich hinweg schauen.
In Wahrheit geht jedoch in diesem Sektor die Post ab. So sehr, dass die Regierungen verschiedener Länder aufzuschrecken beginnen. Mit den seit dem Jahr 2000 rund 70 zugelassenen Orphan Drugs lassen sich Milliarden verdienen. Man lasse sich nicht täuschen von den oben genannten kleinen Ziffern. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung sind es in Europa bis zu 230‘000 Patienten pro seltene Krankheit, denen man ein Orphan Drug verabreichen kann, und die Therapiekosten belaufen sich auf Beträge im sechsstelligen Bereich. Der Enzymersatz Myozym von Sanofi zum Beispiel kostet rund 300‘000 Euro pro Jahr und Patient. Weltweit werden insgesamt 86 Milliarden US-Dollar mit Orphan Drugs umgesetzt. Dieser Teil des Pharmamarktes entwickelt sich doppelt so schnell wie der ganze Rest. Als Sanofi 2011 Genzyme übernahm, sicherte sie sich damit im letzten Jahr einen Umsatz mit Orphan Drugs von 2.8 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als der Blutverdünner Plavix, der im Mai 2012 den Patentschutz verlor, einbrachte.
Machen wir doch mal eine kleine Rechnung für die Schweiz. Bundesrat, Santésuisse, Preisüberwacher Konsumentenschützerinnen und wer weiss, wer sonst noch alles, posaunen pausenlos, man könne mühelos 200 Millionen Franken oder noch mehr jährlich einsparen, indem man generell die Medikamentenpreise senke. Damit lenkt die Politik erfolgreich von den schwierigen Baustellen Arztpraxis, Spital und Spitalambulanz ab. Und vielleicht zunehmend auch vom Problem Orphan Drugs.
Es reichen 700 Patienten mit seltenen Krankheiten mit einem durchschnittlichen Bedarf an Orphan Drugs von 300‘000 Franken pro Jahr, um eine Ersparnis von 200 Millionen Franken wegzuputzen. Und dies wohlverstanden mit Medikamenten, deren Wirkung oft keineswegs durchschlagend ist. Dennoch denkt die Pharmaindustrie nicht daran, die Preise zu senken, wohl wissend, dass sich Patienten mit schweren Krankheiten an jede Möglichkeit klammern, die Linderung verspricht. Wohl wissend auch, dass es für die Politik weitaus schwieriger ist, den wenigen Betroffenen mitzuteilen, dass ihr Medikament nicht von den Krankenkassen übernommen wird, weil es zu teuer sei, als generelle Preissenkungen durchzusetzen, für die die Bevölkerung sogar noch applaudiert. Lieber senkt man weiterhin mit der Heckenschere die Preise «normaler» Medikamente und opfert mit diesem ruinösen staatlichen Eingriff nach und nach den Detailhandel. Denn der profitiert keineswegs vom Boom mit den Orphan Drugs. Solche Medikamente werden meistens parenteral im Spital verabreicht.
Der Pharmaindustrie tun die breit angelegten Preissenkungsrunden zwar auch weh, aber im Gegensatz zum Detailhandel wird sie deswegen nicht untergehen. Gemäss Schätzungen haben in der Schweiz rund 500‘000 Personen eine seltene Krankheit. Diese Zahl ist sicher hochgegriffen. Sie zeigt aber, wie gross das Potential in diesem Bereich ist. Liesse sich nur jedem dieser Patienten ein Orphan Drug im Wert von 10‘000 Franken pro Jahr verkaufen (was angesichts der oben genannten durchschnittlichen Therapiekosten für Morbus Pompe sicher nicht übertrieben gerechnet ist), wären fünf Milliarden Franken in der Kasse. Und der Markt ist stark ausbaubar. Ein wahrlich gutes Geschäft für die Pharmaindustrie.
http://www.proraris.ch/de/maladies-rares/
8. April 2013