Dicke Post haben vor kurzem die Spitalapotheker erhalten. Die Kantonsapothekervereinigung Schweiz beglückte sie mit einem 44 Seiten dicken Konstrukt, das bis ins Detail festlegt, wie Arzneimittel abgegeben werden sollen. Das Dossier der selbsternannten Gesetzgeber enthält Angaben zu allen Distributionsstellen. Die Offizinapotheker bekommen ebenfalls ein dickes Pflichtenheft diktiert. Sie sollten vorsorglich schon mal ihr Diplom von der Wand nehmen. Eidgenössisch diplomierter Apotheker? Vergessen Sie es, eidgenössisch administrierter Apotheker trifft es besser. Hier ein paar Ausschnitte aus dem Werk:
Im Vorwort halten die Kantonsapotheker fest, die Abgabe und Anwendung von Heilmitteln sei im Heilmittelgesetz HMG nur am Rande geregelt. Offensichtlich sind sie der Meinung, sie müssten diese Lücke füllen. «Die Kantonsapothekervereinigung hat die Regeln am 14. September 2009 verabschiedet», schreiben die Damen und Herren, die vom Kontrollorgan zum Gesetzgeber mutiert sind, bzw. offenbar in Zukunft beides sein wollen. Denn die Regeln «können aufgrund allfälliger Rückmeldungen, Gesetzesänderungen und Erfahrungen überarbeitet werden», heisst es im nächsten Abschnitt. Mit anderen Worten: Die Apotheker müssen damit rechnen, dass die fleissigen Kantonsapotheker unentwegt an ihrem Werk herumschrauben und die nächste Betriebskontrolle zum reinen Willkürakt verkommen kann.
Die 44 Seiten in Kurzversion: Sie müssen jeden Schritt schriftlich dokumentieren und von einer Zweitperson bestätigen lassen. Dass Sie über ein Qualitätssicherungssystem verfügen, wird ohne weiteres vorausgesetzt. Und es werden «Regeln» in die Welt gesetzt, die weitreichende rechtliche Konsequenzen haben könnten. Da heisst es weit hinten in den Anhängen auf Seite 40 zum Beispiel: «Die verantwortliche Person übernimmt mit der Entfernung aus der Primärpackung auch die Haftung für das Produkt, sofern nicht der Hersteller das Vorgehen autorisiert.» Im Klartext heisst das dann wohl, dass sämtliche Haftungsklagen z.B. bei einer Wochenaufbereitung für ältere Personen auf den Apotheker fallen. Na danke. Da lassen wir die alten Leute doch lieber wieder selbst mit ihren dauernd wechselnden Generika-Packungen herumwursteln.
Noch ein paar Beispiele gefällig? Sie sollen Sie haben, aber wir übernehmen keine Haftung, wenn Sie nach der Lektüre Ihren Beruf definitiv an den Nagel hängen – oder Pleite gegangen sind, weil sie dank ausufernder Bürokratie nicht mehr zum Arbeiten kommen. Nehmen Sie aber auch den Kollaps Ihres Betriebes gelassen, Hauptsache, Sie haben administrationstechnisch nichts falsch gemacht. Also:
Wenn Sie Ihr Team zusammenrufen für eine interne Schulung, haben Sie das schriftlich zu dokumentieren, z.B. durch Sitzungsprotokoll mit Thema, Zeitumfang und Teilnehmenden (Seite 10). Sämtliche Arbeiten machen Sie in Zukunft ohnehin am besten selbst, denn die fachtechnisch verantwortliche Person (fvP) «delegiert schriftlich» (Seite 30). Bis Sie das gemacht haben, haben Sie die Arbeit selbst erledigt. Da «aus den Präsenzplänen die Anwesenheit der fvP oder deren Stv während den Öffnungszeiten ersichtlich und rückverfolgbar» (Seite 10) sein muss, werden Sie zudem mit Vorteil nur noch zu Hause aufs Klo gehen. Bis Sie nämlich die Abwesenheit wegen einer allfälligen Sitzung am stillen Örtchen dokumentiert haben (wo selbstverständlich die Reinigung protokolliert ist, Seite 14) – da verklemmen Sie es sich lieber. Vorteilhaft auch, weil Ihr Personal ohnehin keinen Schritt tun darf ohne Ihre unmittelbare physische Präsenz «in der Regel mit Sichtkontakt» (Seite 6). Trifft sich gut, denn es sollen ja auch regelmässig «Selbstinspektionen geplant, durchgeführt und dokumentiert» (Seite 21) werden. Wenn Sie schon in Sichtkontakt rumstehen, geht das ja im selben Aufwisch.
So geht das 44 Seiten lang! Wer hat eigentlich die Kompetenz, solche Konstrukte zum Gesetz zu erheben? Kann eine Handvoll Leute eigenmächtig das HMG «ergänzen», wohlgemerkt eine Handvoll Leute, die Aufsichtsfunktionen wahrnimmt und dafür auch noch Geld verlangt. Welcher Verkehrspolizist macht die Verkehrsregeln selbst und kassiert für die Kontrolle auch noch Geld, selbst wenn der Verkehrsteilnehmer sich korrekt verhält?
Um Missverständnisse auszuräumen: Apotheker sind pflichtbewusste Leute, die sich sehr bewusst sind, welch gravierende Folgen ein Fehler haben kann. Seit Jahrzehnten haben sich in der Offizin einfache und wirksame Kontrollsysteme etabliert. Aber den Betrieb derart aufzublähen, ist unnötig und letztlich kontraproduktiv. Wer im administrativen Wust ersäuft, hat keine Zeit für die Kunden!
Für Masochisten: Hier geht es zum pdf des Werks.
cgap_v1_d_märz2010
8. Juli 2010