Beharrlich schwieg sich Santésuisse bisher über die SD aus. In der neuesten Ausgabe von Info Santésuisse, dem Magazin der Schweizer Krankenversicherer, heisst es jetzt endlich doch noch «Die Selbstdispensation muss aufs Tapet». Ganz so zupackend, wie es klingt, äussert sich Santésuisse allerdings nicht. Es brauche dringend neue Studien, heisst es in dem Beitrag. Denn so ganz klar, ob SD oder Rezeptur günstiger sei, gehe aus den bisherigen Daten nicht hervor. Warum so zögerlich? Woher die Beisshemmung? Argumente gegen die SD gibt es nämlich genügend, nicht nur finanzielle. Einigen Fragen müsste sich Santésuisse endlich stellen:
Seit längerem zeigt Santésuisse Ärzte, die mit ihren Rechnungen über die Stränge schlagen, an und verlangt von ihnen Geld zurück. Warum, so fragt man sich, sollte es dem Krankenkassenverband nicht auch möglich sein, Erhebungen über die wahren Kosten der SD vorzunehmen? Vermutung: Santésuisse befürchtet wohl nicht ganz zu Unrecht, dass die Ärzte das Zusatzeinkommen durch den Medikamentenverkauf durch andere Leistungen kompensieren könnten. Ausserdem erhalten Ärzte in Rezeptur-Kantonen einen höheren Taxpunktwert. Würde die SD verboten, wäre die Forderung nach einem höheren Taxpunktwert nicht weit.
Das Argument, die unterschiedlichen Ausgaben für Medikamente liessen sich nicht vergleichen zwischen Rezeptur- und SD-Kantonen, weil andere Faktoren mitspielen, überzeugt nicht. Es ist ohne Zweifel so, die ländliche Bevölkerung zurückhaltender ist bei Arzneimitteln als die urbane. Es ist auch keine Frage, dass das dichte Angebot in städtischen Regionen die Nachfrage in die Höhe treibt. Und es ist ebenfalls keine neue Erkenntnis, dass Tessiner und Westschweizer bereitwilliger Tabletten schlucken als Deutschschweizer. Aber es gibt genügend Kantone, die auf engem Raum beides kennen, die SD und die Rezeptur. Der Kanton Zürich zum Beispiel, wo bis jetzt nur in den Städten Zürich und Winterthur die SD verboten ist. Da ist der Unterschied zwischen Stadt und Agglomeration gering, ein Vergleich liesse sich durchaus anstellen.
Und warum, so fragt man sich weiter, zahlen die Krankenkassen anstandslos Medikamente, die von Ärzten verkauft werden, die gar keine SD-Bewilligung besitzen? Immerhin gestehen die Kassen Ärzten in Rezepturkantonen einen höheren Taxpunktwert zu. Also wäre es nur korrekt, in diesen Gebieten Rechnungen für Medikamente abzulehnen. Wollen die Krankenkassen nicht den Polizisten spielen? Eigenartig, denn in anderen Bereichen tun sie es ungehemmt.
Aber es geht nicht nur ums Geld. Alle Welt spricht derzeit von Managed Care, mehr Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Leistungserbringern, Effizienz und Qualität! Alles für die Katze, wenn die wichtigsten Akteure im ambulanten Bereich, nämlich die Apotheker und die Ärzte, nicht miteinander reden. Die SD verhindert jegliche sinnvolle Zusammenarbeit. SD-Ärzte sehen im Apotheker ausschliesslich den Erzfeind, den sie meiden wie die Pest. Umgekehrt ist die Sympathie verständlicherweise ebenfalls nicht gerade überschäumend. Wie sollen in einem solchen Umfeld Patientendossiers vernünftig geführt, die Compliance-Kontrolle wirksam vorgenommen und Qualitätszirkel etabliert werden? Schafft also endlich die SD ab! Sie schadet viel mehr als sie nützt.
20. Mai 2010