Informiert im Gesundheitswesen

Verfassungsartikel unnötig

Am 1. Juni soll das Schweizer Volk über einen neuen Verfassungsartikel zum Gesundheitswesen abstimmen, dessen Folgen kein Mensch überblicken kann. «Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung» lautet der verfängliche Titel. Grundsätzlich müsste man dem ja zustimmen. Aber wozu brauchen wir für diese Selbstverständlichkeit einen Verfassungsartikel? Er ist unnötig, ein Papiertiger, und er löst nicht ein einziges Problem, schafft eher neue.

Dass santésuisse den Verfassungsartikel als vernünftig betrachtet, verwundert nicht. Immerhin ist darin indirekt die Möglichkeit zur Vertragsfreiheit festgeschrieben. Solange aber das Krankenkassenobligatorium bestehen bleibt und einziger Entscheidungsträger über Leistungsvertrag ja oder nein die Krankenkassen sind, würden wir uns freiwillig dem Diktat der Krankenkassen unterstellen. Man darf daran zweifeln, dass die Krankenkassen beim Vertragsabschluss mit einem Leistungserbringer dessen Qualität in den Vordergrund stellen. Viel eher wird der billigste der «beste» sein.

Bereits jetzt machen die grossen Kassen, wie Helsana und CSS, mächtig Druck, indem sie mit Drogisten, Optikern und anderen Pseudoleistungserbringern irgendwelche Vereinbarungen treffen, die dem einzigen Ziel dienen zu «sparen» bzw. die regulären Leistungserbringer zu umgehen.

Mit der Vertragsfreiheit, deren mögliche Einführung bis zur Abstimmung natürlich alle weit von sich weisen, wird de facto die freie Wahl des Arztes ausgehebelt. Denn solange man durch das Versicherungsobligatorium gebunden ist, kann ein Versicherter nur theoretisch ausweichen und sich einen Arzt suchen, der allenfalls keinen Vertrag hat. Tut er es trotzdem, muss er es sich leisten können, denn er zahlt doppelt. Einerseits in die «solidarische», staatlich durchregulierte allgemeine Krankenversicherung und zusätzlich noch den frei gewählten Arzt.

Und was bitte hindert uns daran, auch ohne schwammigen Verfassungsartikel Qualität zu bieten? Man müsste vielleicht wieder einmal die Bestimmungen straffen, unter denen jemand überhaupt als Leistungserbringer anerkannt wird. Wäre es nicht sinnvoll, dass medizinische Leistungen wieder in erster Linie von Medizinalpersonen erbracht werden? Und wäre es nicht der Sinn, dass die Krankenversicherung vor übermässigem Schaden bei ernsthafter Krankheit bewahren sollte? Dass wir in den vergangenen Jahrzehnten unser System zum Selbstbedienungsladen für die Versicherten verkommen liessen und zudem jeder, der auch noch ein bisschen massiert und therapiert zu Lasten der Krankenkasse abrechnen darf, ist mit einem neuen Verfassungsartikel, auch wenn er einen schön klingenden Titel trägt, auch nicht zu ändern.

Wir brauchen den neuen Verfassungsartikel nicht! Es handelt sich wieder einmal um das übliche Vorgehen in der Politik. Damit man die Probleme nicht anpacken muss, schreibt man neue Verfassungsartikel und Gesetze und hofft, dass sich damit alles weitere dann schon irgendwie richten lässt. Vor allem gewinnt man Zeit, in der man sich nicht die Finger mit dem Anpacken echter Probleme verbrennt.

24. März 2008

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