Vor zwei Jahren versetzte noch jede tote Taube die Welt in Aufruhr. Hätte ja sein können, dass sie, statt wegen einer Überdosis Tauben-Anti-Baby-Pillen wegen dem Vogelgrippevirus vom Himmel gefallen war. Um tote Schwäne wurde gar ein Sicherheits-Quarantäneradius von zehn Kilometern gezogen. Zwei, drei solcher Vögel hätten dann genügt, um die ganze Seestrasse zum Beispiel von Zürich nach Rapperswil leerzufegen. Inzwischen sind die Schlagzeilen verschwunden. Nur Berge von Gesichtsmasken zeugen noch von der vom BAG heftig geschürten Massenhysterie, dass demnächst der grippepandemische Weltuntergang eintrete. Kurz, die Welt nimmt wieder ihren gewohnten Gang. Nur bei BAG-Chef Zeltner haben sich die Wogen noch nicht ganz geglättet. Rein zufällig wurde 3-min.info Zeuge der folgenden Szene.
Das Telefon klingelt auf Thomas Zeltners Schreibtisch. Er nimmt ab.
Thomas Zeltner: Hier Direktor Zeltner.
Anrufer: Herr Zeltner?
T.Z. leicht gereizt: Direktor Zeltner persönlich, ja.
Anrufer: Hier Heiri Müller. Schön, dass ich Sie gleich selbst am Apparat habe. Ich hätte da eine Frage, ich bin nämlich Migros-Filialleiter der Migros-Filiale in Hintertupfigen, und da haben wir jetzt ein Problem wegen der Vogelgrippe.
T.Z. setzt sich sofort kerzengerade auf den Stuhl: Ja? Ist jemand erkrankt?
Anrufer: Nun ja, das nicht gerade. Das heisst, es ist ja immer jemand krank. Also meine Mitarbeiterin zum Beispiel, die Frau Meier, die liegt seit zwei Tagen im Bett.
T.Z. beginnt aufgeregt zu zittern. Endlich geht etwas an der Vogelgrippefront: Seit zwei Tagen, sagen Sie? Und wurde sie schon untersucht? Wie ist der Befund?
Anrufer, zögert ein wenig, weiss nicht recht, was er sagen soll: Jaja, sie ist in besten Händen. Aber ich wollte eigentlich nicht wegen Frau Meier…
T.Z. unterbricht: Sie müssen ihre Mitarbeiterin sofort ins nächste Spital bringen. Sie muss in Quarantäne gebracht werden, sonst kann das schlimmste Auswirkungen auf die ganze Schweiz haben!
Anrufer: Ja, aber, sie hat doch nur…
T.Z. wird langsam wütend über den verstockten Anrufer: Ja, das sagen alle. Nur eine Grippe. Genau da liegt der fatale Irrtum. Eine Grippe ist eine ernst zu nehmende Krankheit mit schwerstwiegenden Konsequenzen. Wir müssen sie mit allen Mitteln bekämpfen. Und deshalb muss ihre Frau Meier jetzt sofort in Quarantäne!
Anrufer, jetzt seinerseits etwas genervt: Aber Frau Meier hat doch gar keine Grippe! Sie hat einen Hexenschuss.
T.Z. sinkt enttäuscht in sich zusammen: Ach so. Und warum rufen Sie mich denn an?
Anrufer: Weil ich Sie fragen wollte, ob ich die drei Paletten voll Gesichtsmasken dem BAG schicken kann. Sie wissen ja selbst, dass die keiner kaufen will, und ich muss jetzt einfach wieder Platz schaffen für anderes in meinem Lager.
T.Z., jetzt sehr verärgert: Dafür bin ich nun wirklich nicht zuständig.
Anrufer, auch gereizt: Aber Sie haben doch dem Detailhandel beinahe befohlen, Gesichtsmasken an Lager zu nehmen, damit die Bevölkerung in jedem Haushalt fünfzig Stück pro Person in Vorrat nehmen kann.
T.Z.: Jaja, schon, aber das war ja nicht so ernst gemeint.
Anrufer, lautstark: NICHT ERNST GEMEINT?! Was soll das heissen?
T.Z.: Sie sind doch Detailhändler. Sie wissen so gut wie ich, dass man manchmal zu etwas ungewöhnlichen Mitteln greifen muss, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Und die Gesichtsmasken waren ein ideales PR-Instrument für die Vogelgrippe. Und für mich (räuspert sich).
Anrufer: Aha. Aber das hilft mir jetzt immer noch nicht weiter wegen meiner drei Paletten Gesichtsmasken.
T.Z.: Wie gesagt, Herr – wie war Ihr Name nochmal?
Anrufer: Müller.
T.Z.: Ja, also Herr Müller, wie gesagt, eigentlich sind ihre drei Palette Gesichtsmasken ihre Sache. Aber Sie bringen mich da auf eine Idee. Ich schaue, was ich für Sie tun kann. Mehr kann ich Ihnen leider nicht dazu sagen. Aber vertrauen Sie mir, in Sachen PR habe ich einiges drauf, hähähä.
Zeltner legt auf und hebt den Hörer sofort wieder ab. Aufgeregt hackt er ein paar Zahlen in den Apparat. Dann schreit er in den Hörer: «Ganze Marketingabteilung zu mir. Sofort!»
Und murmelnd zu sich selbst: Dieses verdammte Vogelgrippevirus versteckt sich immer noch irgendwo bei den Chinesen. Aber der Sache werden wir schon wieder Leben einhauchen. Wäre doch gelacht, wenn wir diese Vogelgrippe nicht zum Ausbruch kriegen.
Die Tür zu Zeltners Büro fliegt auf. Zehn Leute strömen herein, alle mit Notizblock unter dem Arm. Zeltner diktiert:
«Sofort Alarm schlagen. Ich will, dass jeder Haushalt mindestens hundert Gesichtsmasken pro Person in Vorrat hält, Haustiere eingeschlossen. Bereitet eine Kampagne vor mit allem drum und dran. Zweitens: Erlegt einen Schwan und sorgt dafür, dass ihn ein Spaziergänger findet. Drittens: Ich will in jeder Tageszeitung der Schweiz ein Interview haben. Es wird Zeit, dass ich mich wieder einmal der Öffentlichkeit präsentiere.»
«Haben wir ein Budgets für all das«, wagt einer zu fragen.
Zeltner steht auf und neigt sich wutentbrannt über die Tischplatte. «Ich sorge dafür, dass die Weltbevölkerung nicht von einer Grippepandemie ausgerottet wird, UND SIE FRAGEN NACH EINEM BUDGET?!»
19. Februar 2008