Die Solothurner SP-Nationalrätin Bea Heim hat eine Motion zur «Patientensicherheit» mit 102 Unterschriften aus allen Fraktionen eingereicht. Hintergrund sind die immer wieder vorkommenden Interaktionen verschiedener Arzneimittel. Diverse Spitäler testen deswegen eine Software, mittels derer die Ärzte ihre Medikation elektronisch festhalten können. Falsche Dosierungen oder Interaktionen sollen auf diese Weise rechtzeitig erkannt und vermieden werden. Fragt sich jetzt bloss, was effizienter wäre, ein Apotheker oder ein IT-Mitarbeiter und teure Computerinstallationen.
Stefan Eggli, leitender Arzt der Orthopädischen Chirurgie am Inselspital Bern, führte an einer Pressekonferenz vom Montag, 25. Juni 2007, aus, die 6500 in der Schweiz zugelassenen Medikamente könnten 40'000 unerwünschte Wechselwirkungen verursachen. Das überblicke weder ein Arzt noch ein Apotheker. Umso mehr, als in jüngster Zeit auch noch die zahlreichen Generika dazu kommen, von denen nicht jedes jedem Arzt bekannt ist. Und, das hat Stefan Eggli in einer Untersuchung in seiner Abteilung ebenfalls herausgefunden, ärztliche Anweisungen sind bis zu 51% schwer leserlich, zu 12 bis 17% überhaupt nicht entzifferbar. Weiter fand er heraus, dass 165 untersuchte Patienten insgesamt 1934 Medikamente verschrieben erhielten. Mehr als 40% dieser Patienten waren von Interaktionen betroffen.
Mit dem elektronischen Rezept hofft man am Inselspital jetzt, das Problem in den Griff zu bekommen. Bereits 2005 engagierte sich Eggli für eine solche Lösung (siehe damalige Medienmitteilung: http://www.qualidoc.ch/deutsch/news/files/050909_MM_Qualidoc_D.pdf), die er zusammen mit Qualidoc AG und der Galenica-Tochter e-mediat AG zusammen entwickelte. Das Projekt, dessen direkte Entwicklungskosten auf ca. 1.5 Millionen Franken geschätzt wurden, wurde sogar vom Bund mit 450'000 Franken unterstützt, genauer durch die «Förderagentur für Innovation KTI des Bundesamt für Berufsbildung und Technologie». Begründung für den Beitrag aus Steuerbatzen: Innovationspotential des Projekts und Nutzen für die medizinische Versorgung.
Inzwischen ist man im Inselspital in der Probephase der Software. Die Sache ist komplex, denn nicht nur Dosierung und mögliche Interaktionen sollen berücksichtigt werden, sondern auch Alter, Lebensumstände (z.B. Schwangerschaft), weitere Krankheiten etc. Man stehe erst am Anfang, gesteht denn Stefan Eggli laut Tages-Anzeiger vom 26. Juni 2007 auch ein. Aber er ist voller Hoffnung. Eine Fehlerreduktion von 50% hält er für realistisch.
Schön, wenn es klappt. Dem geneigten Apotheker gehen allerdings auch ein paar kritische Fragen durch den Kopf. 40'000 mögliche Interaktionen? Mag ja sein, aber wie relevant sind die in Wirklichkeit? Und wie wäre es denn mit einem Spitalapotheker? Der hätte die wichtigsten Interaktionen mit Bestimmtheit im Kopf. Und vielleicht könnte der auch hin und wieder einen Hinweis geben, dass etwas weniger mehr sein könnte. Wenn 165 Patienten 1934 Medikamente erhalten, sind das fast zwölf pro Patient. Braucht es das wirklich? Ist es nicht oft so, dass man jede Nebenwirkung mit einem weiteren Arzneimittel bekämpft anstatt zu überlegen, ob man das verursachende Medikamente durch ein anderes ersetzen oder vielleicht sogar weglassen könnte?
Das sind ja nur ein paar Fragen. Aber möglicherweise die richtigen. Auf jeden Fall würde ein Apotheker für 1.5 Millionen Franken eine ganze Weile von Spitalbett zu Spitalbett spurten und sein Wissen einsetzen. Aber das ist natürlich nur ein utopischer Gedanke, für dessen Umsetzung bei der Förderagentur für Innovation beim Bund keine Lorbeeren, bzw. Steuerbatzen zu holen sind. Die Apotheker sind ja keine Innovation, sondern nur ein alter Medizinalberufsstand.
27. Juni 2007