Die Mittel- und Gegenständeliste Migel des Bundesamts für Gesundheit legt im Detail fest, was unter leichter, mittlerer und schwerer Inkontinenz zu verstehen ist. Millilitergenau! Mittlere Inkontinenz heisst demnach konkret: Urinverlust zwischen 100 und 200 Milliliter in vier Stunden. Die Frage ist nur: Wer misst das und wie genau?
Denn sollen die Krankenkassen für die Inkontinenz-Einlagen aufkommen, müssen die Ärzte ihren Patienten die Schwere ihrer Inkontinenz bescheinigen. Was auf dem Papier und in den Berner Amtsstuben plausibel aussieht, erweist sich in der Praxis als reichlich verzwickte Sache. Sollen die Patienten alle vier Stunden aufgeboten werden, um die Windeln auf die Waage zu legen? Oder soll man sie mit dem nötigen Taktgefühl dazu anregen, dies auf der Küchenwaage zu Hause selbst zu tun? Aber wer kontrolliert das dann? Immerhin hängt von dieser Messung die Krankenkassenvergütung ab. Da könnte manch ein Senior versucht sein, den Inkontinenzgrad etwas zu dramatisieren. Das riefe nach Massnahmen. Vielleicht könnte also in Zukunft die Spitex-Schwester eine Paketwaage ins Köfferchen packen, bevor sie auf Hausbesuch geht?
Die Thurgauer Ärzte jedenfalls wollen ihren Patienten nicht länger inquisitorisch in die Unterhose blicken. Sie weigern sich, weiterhin die entsprechenden Formulare auszufüllen. In der NZZ am Sonntag vom 18. Juni 2006 äussert sich Klaus Schihin, Allgemeinpraktiker in Frauenfeld, dezidiert: «Wenn unser Protest nichts nützt, werden wir gebrauchte Windeln an Bundesrat Couchepin und BAG-Direktor Thomas Zeltner schicken. Sollen die doch den Urinverlust messen.»
Da blicken wir doch gespannt nach Bern. Vielleicht hängt da nach der Fussball-WM statt des Fassadenplakats «Der Fussball regiert» eine Wäscheleine am Bundeshaus, von der es vielsagend auf den Bundesplatz hinuntertropft.
20. Juni 2006